Erstes KapitelVerhaftung, Gespr?ch mit Frau Grubach, dann Fr?ulein Br?stner
Jemand mu?te Josef K. verleumdet haben, denn ohne da? er etwas B?ses getan h?tte, wurde er eines Morgens verhaftet. Die K?chin der Frau Grubach, seiner Zimmervermieterin, die ihm jeden Tag gegen acht Uhr fr?h das Fr?hst?ck brachte, kam diesmal nicht. Das war noch niemals geschehen. K. wartete noch ein Weilchen, sah von seinem Kopfkissen aus die alte Frau, die ihm gegen?ber wohnte und die ihn mit einer an ihr ganz ungew?hnlichen Neugierde beobachtete, dann aber, gleichzeitig befremdet und hungrig, l?utete er. Sofort klopfte es und ein Mann, den er in dieser Wohnung noch niemals gesehen hatte, trat ein. Er war schlank und doch fest gebaut, er trug ein anliegendes schwarzes Kleid, das, ?hnlich den Reiseanz?gen, mit verschiedenen Falten, Taschen, Schnallen, Kn?pfen und einem G?rtel versehen war und infolgedessen, ohne da? man sich dar?ber klar wurde, wozu es dienen sollte, besonders praktisch erschien. »Wer sind Sie?« fragte K. und sa? gleich halb aufrecht im Bett. Der Mann aber ging ?ber die Frage hinweg, als m?sse man seine Erscheinung hinnehmen, und sagte blo? seinerseits: »Sie haben gel?utet?« »Anna soll mir das Fr?hst?ck bringen«, sagte K. und versuchte, zun?chst stillschweigend, durch Aufmerksamkeit und ?berlegung festzustellen, wer der Mann eigentlich war. Aber dieser setzte sich nicht allzulange seinen Blicken aus, sondern wandte sich zur T?r, die er ein wenig ?ffnete, um jemandem, der offenbar knapp hinter der T?r stand, zu sagen: »Er will, da? Anna ihm das Fr?hst?ck bringt.« Ein kleines Gel?chter im Nebenzimmer folgte, es war nach dem Klang nicht sicher, ob nicht mehrere Personen daran beteiligt waren. Obwohl der fremde Mann dadurch nichts erfahren haben konnte, was er nicht schon fr?her gewu?t h?tte, sagte er nun doch zu K. im Tone einer Meldung: »Es ist unm?glich.« »Das w?re neu«, sagte K., sprang aus dem Bett und zog rasch seine Hosen an. »Ich will doch sehen, was f?r Leute im Nebenzimmer sind und wie Frau Grubach diese St?rung mir gegen?ber verantworten wird.« Es fiel ihm zwar gleich ein, da? er das nicht h?tte laut sagen m?ssen und da? er dadurch gewisserma?en ein Beaufsichtigungsrecht des Fremden anerkannte, aber es schien ihm jetzt nicht wichtig. Immerhin fa?te es der Fremde so auf, denn er sagte: »Wollen Sie nicht lieber hierbleiben?« »Ich will weder hierbleiben, noch von Ihnen angesprochen werden, solange Sie sich mir nicht vorstellen.« »Es war gut gemeint«, sagte der Fremde und ?ffnete nun freiwillig die T?r. Im Nebenzimmer, in das K. langsamer eintrat, als er wollte, sah es auf den ersten Blick fast genau so aus wie am Abend vorher. Es war das Wohnzimmer der Frau Grubach, vielleicht war in diesem mit M?beln, Decken, Porzellan und Photographien ?berf?llten Zimmer heute ein wenig mehr Raum als sonst, man erkannte das nicht gleich, um so weniger, als die Hauptver?nderung in der Anwesenheit eines Mannes bestand, der beim offenen Fenster mit einem Buch sa?, von dem er jetzt aufblickte, »Sie h?tten in Ihrem Zimmer bleiben sollen! Hat es Ihnen denn Franz nicht gesagt?« »Ja, was wollen Sie denn?« sagte K. und sah von der neuen Bekanntschaft zu dem mit Franz Benannten, der in der T?r stehengeblieben war, und dann wieder zur?ck. Durch das offene Fenster erblickte man wieder die alte Frau, die mit wahrhaft greisenhafter Neugierde zu dem jetzt gegen?berliegenden Fenster getreten war, um auch weiterhin alles zu sehen. »Ich will doch Frau Grubach –«, sagte K., machte eine Bewegung, als rei?e er sich von den zwei M?nnern los, die aber weit von ihm entfernt standen, und wollte weitergehen. »Nein«, sagte der Mann beim Fenster, warf das Buch auf ein Tischchen und stand auf. »Sie d?rfen nicht weggehen, Sie sind ja verhaftet.« »Es sieht so aus«, sagte K. »Und warum denn?« fragte er dann. »Wir sind nicht dazu bestellt, Ihnen das zu sagen. Gehen Sie in Ihr Zimmer und warten Sie. Das Verfahren ist nun einmal eingeleitet, und Sie werden alles zur richtigen Zeit erfahren. Ich gehe ?ber meinen Auftrag hinaus, wenn ich Ihnen so freundschaftlich zurede. Aber ich hoffe, es h?rt es niemand sonst als Franz, und der ist selbst gegen alle Vorschrift freundlich zu Ihnen. Wenn Sie auch weiterhin so viel Gl?ck haben wie bei der Bestimmung Ihrer W?chter, dann k?nnen Sie zuversichtlich sein.« K. wollte sich setzen, aber nun sah er, da? im ganzen Zimmer keine Sitzgelegenheit war, au?er dem Sessel beim Fenster. »Sie werden noch einsehen, wie wahr das alles ist«, sagte Franz und ging gleichzeitig mit dem andern Mann auf ihn zu. Besonders der letztere ?berragte K. bedeutend und klopfte ihm ?fters auf die Schulter. Beide pr?ften K.s Nachthemd und sagten, da? er jetzt ein viel schlechteres Hemd werde anziehen m?ssen, da? sie aber dieses Hemd wie auch seine ?brige W?sche aufbewahren und, wenn seine Sache g?nstig ausfallen sollte, ihm wieder zur?ckgeben w?rden. »Es ist besser, Sie geben die Sachen uns als ins Depot«, sagten sie, »denn im Depot kommen ?fters Unterschleife vor und au?erdem verkauft man dort alle Sachen nach einer gewissen Zeit, ohne R?cksicht, ob das betreffende Verfahren zu Ende ist oder nicht. Und wie lange dauern doch derartige Prozesse, besonders in letzter Zeit! Sie bek?men dann schlie?lich allerdings vom Depot den Erl?s, aber dieser Erl?s ist erstens an sich schon gering, denn beim Verkauf entscheidet nicht die H?he des Angebotes, sondern die H?he der Bestechung, und weiter verringern sich solche Erl?se erfahrungsgem??, wenn sie von Hand zu Hand und von Jahr zu Jahr weitergegeben werden.« K. achtete auf diese Reden kaum, das Verf?gungsrecht ?ber seine Sachen, das er vielleicht noch besa?, sch?tzte er nicht hoch ein, viel wichtiger war es ihm, Klarheit ?ber seine Lage zu bekommen; in Gegenwart dieser Leute konnte er aber nicht einmal nachdenken, immer wieder stie? der Bauch des zweiten W?chters – es konnten ja nur W?chter sein – f?rmlich freundschaftlich an ihn, sah er aber auf, dann erblickte er ein zu diesem dicken K?rper gar nicht passendes trockenes, knochiges Gesicht mit starker, seitlich gedrehter Nase, das sich ?ber ihn hinweg mit dem anderen W?chter verst?ndigte. Was waren denn das f?r Menschen? Wovon sprachen sie? Welcher Beh?rde geh?rten sie an? K. lebte doch in einem Rechtsstaat, ?berall herrschte Friede, alle Gesetze bestanden aufrecht, wer wagte, ihn in seiner Wohnung zu ?berfallen? Er neigte stets dazu, alles m?glichst leicht zu nehmen, das Schlimmste erst beim Eintritt des Schlimmsten zu glauben, keine Vorsorge f?r die Zukunft zu treffen, selbst wenn alles drohte. Hier schien ihm das aber nicht richtig, man konnte zwar das Ganze als Spa? ansehen, als einen groben Spa?, den ihm aus unbekannten Gr?nden, vielleicht weil heute sein drei?igster Geburtstag war, die Kollegen in der Bank veranstaltet hatten, es war nat?rlich m?glich, vielleicht brauchte er nur auf irgendeine Weise den W?chtern ins Gesicht zu lachen, und sie w?rden mitlachen, vielleicht waren es Dienstm?nner von der Stra?enecke, sie sahen ihnen nicht un?hnlich – trotzdem war er diesmal, f?rmlich schon seit dem ersten Anblick des W?chters Franz, entschlossen, nicht den geringsten Vorteil, den er vielleicht gegen?ber diesen Leuten besa?, aus der Hand zu geben. Darin, da? man sp?ter sagen w?rde, er habe keinen Spa? verstanden, sah K. eine ganz geringe Gefahr, wohl aber erinnerte er sich – ohne da? es sonst seine Gewohnheit gewesen w?re, aus Erfahrungen zu lernen – an einige, an sich unbedeutende F?lle, in denen er zum Unterschied von seinen Freunden mit Bewu?tsein, ohne das geringste Gef?hl f?r die m?glichen Folgen, sich unvorsichtig benommen hatte und daf?r durch das Ergebnis gestraft worden war. Es sollte nicht wieder geschehen, zumindest nicht diesmal; war es eine Kom?die, so wollte er mitspielen.
Noch war er frei. »Erlauben Sie«, sagte er und ging eilig zwischen den W?chtern durch in sein Zimmer. »Er scheint vern?nftig zu sein«, h?rte er hinter sich sagen. In seinem Zimmer ri? er gleich die Schubladen des Schreibtischs auf, es lag dort alles in gro?er Ordnung, aber gerade die Legitimationspapiere, die er suchte, konnte er in der Aufregung nicht gleich finden. Schlie?lich fand er seine Radfahrlegitimation und wollte schon mit ihr zu den W?chtern gehen, dann aber schien ihm das Papier zu geringf?gig und er suchte weiter, bis er den Geburtsschein fand. Als er wieder in das Nebenzimmer zur?ckkam, ?ffnete sich gerade die gegen?berliegende T?r und Frau Grubach wollte dort eintreten. Man sah sie nur einen Augenblick, denn kaum hatte sie K. erkannt, als sie offenbar verlegen wurde, um Verzeihung bat, verschwand und ?u?erst vorsichtig die T?r schlo?. »Kommen Sie doch herein«, hatte K. gerade noch sagen k?nnen. Nun aber stand er mit seinen Papieren in der Mitte des Zimmers, sah noch auf die T?r hin, die sich nicht wieder ?ffnete, und wurde erst durch einen Anruf der W?chter aufgeschreckt, die bei dem Tischchen am offenen Fenster sa?en und, wie K. jetzt erkannte, sein Fr?hst?ck verzehrten. »Warum ist sie nicht eingetreten?« fragte er. »Sie darf nicht«, sagte der gro?e W?chter. »Sie sind doch verhaftet.« »Wie kann ich denn verhaftet sein? Und gar auf diese Weise?« »Nun fangen Sie also wieder an«, sagte der W?chter und tauchte ein Butterbrot ins Honigf??chen. »Solche Fragen beantworten wir nicht.« »Sie werden sie beantworten m?ssen«, sagte K. »Hier sind meine Legitimationspapiere, zeigen Sie mir jetzt die Ihrigen und vor allem den Verhaftbefehl.« »Du lieber Himmel!« sagte der W?chter. »Da? Sie sich in Ihre Lage nicht f?gen k?nnen und da? Sie es darauf angelegt zu haben scheinen, uns, die wir Ihnen jetzt wahrscheinlich von allen Ihren Mitmenschen am n?chsten stehen, nutzlos zu reizen!« »Es ist so, glauben Sie es doch«, sagte Franz, f?hrte die Kaffeetasse, die er in der Hand hielt, nicht zum Mund, sondern sah K. mit einem langen, wahrscheinlich bedeutungsvollen, aber unverst?ndlichen Blick an. K. lie? sich, ohne es zu wollen, in ein Zwiegespr?ch der Blicke mit Franz ein, schlug dann aber doch auf seine Papiere und sagte: »Hier sind meine Legitimationspapiere.« »Was k?mmern uns denn die?« rief nun schon der gro?e W?chter. »Sie f?hren sich ?rger auf als ein Kind. Was wollen Sie denn? Wollen Sie Ihren gro?en, verfluchten Proze? dadurch zu einem raschen Ende bringen, da? Sie mit uns, den W?chtern, ?ber Legitimation und Verhaftbefehl diskutieren? Wir sind niedrige Angestellte, die sich in einem Legitimationspapier kaum auskennen und die mit Ihrer Sache nichts anderes zu tun haben, als da? sie zehn Stunden t?glich bei Ihnen Wache halten und daf?r bezahlt werden. Das ist alles, was wir sind, trotzdem aber sind wir f?hig, einzusehen, da? die hohen Beh?rden, in deren Dienst wir stehen, ehe sie eine solche Verhaftung verf?gen, sich sehr genau ?ber die Gr?nde der Verhaftung und die Person des Verhafteten unterrichten. Es gibt darin keinen Irrtum. Unsere Beh?rde, soweit ich sie kenne, und ich kenne nur die niedrigsten Grade, sucht doch nicht etwa die Schuld in der Bev?lkerung, sondern wird, wie es im Gesetz hei?t, von der Schuld angezogen und mu? uns W?chter ausschicken. Das ist Gesetz. Wo g?be es da einen Irrtum?« »Dieses Gesetz kenne ich nicht«, sagte K. »Desto schlimmer f?r Sie«, sagte der W?chter. »Es besteht wohl auch nur in Ihren K?pfen«, sagte K., er wollte sich irgendwie in die Gedanken der W?chter einschleichen, sie zu seinen Gunsten wenden oder sich dort einb?rgern. Aber der W?chter sagte nur abweisend: »Sie werden es zu f?hlen bekommen.« Franz mischte sich ein und sagte: »Sieh, Willem, er gibt zu, er kenne das Gesetz nicht, und behauptet gleichzeitig, schuldlos zu sein.« »Du hast ganz recht, aber ihm kann man nichts begreiflich machen«, sagte der andere. K. antwortete nichts mehr; mu? ich, dachte er, durch das Geschw?tz dieser niedrigsten Organe – sie geben selbst zu, es zu sein – mich noch mehr verwirren lassen? Sie reden doch jedenfalls von Dingen, die sie gar nicht verstehen. Ihre Sicherheit ist nur durch ihre Dummheit m?glich. Ein paar Worte, die ich mit einem mir ebenb?rtigen Menschen sprechen werde, werden alles unvergleichlich klarer machen als die l?ngsten Reden mit diesen. Er ging einige Male in dem freien Raum des Zimmers auf und ab, dr?ben sah er die alte Frau, die einen noch viel ?lteren Greis zum Fenster gezerrt hatte, den sie umschlungen hielt. K. mu?te dieser Schaustellung ein Ende machen: »F?hren Sie mich zu Ihrem Vorgesetzten«, sagte er. »Wenn er es w?nscht; nicht fr?her«, sagte der W?chter, der Willem genannt worden war. »Und nun rate ich Ihnen«, f?gte er hinzu, »in Ihr Zimmer zu gehen, sich ruhig zu verhalten und darauf zu warten, was ?ber Sie verf?gt werden wird. Wir raten Ihnen, zerstreuen Sie sich nicht durch nutzlose Gedanken, sondern sammeln Sie sich, es werden gro?e Anforderungen an Sie gestellt werden. Sie haben uns nicht so behandelt, wie es unser Entgegenkommen verdient h?tte, Sie haben vergessen, da?
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